Neue Chororgel für die Stiftskirche
Erbauer: Bernhardt H. Edskes Orgelbau (Wohlen, Kanton Aargau, Schweiz)
In klassischer Bauweise aus natürlichen Materialien:
beste Qualität von Eichenholz aus dem Spessart für Gehäuse, Mechanik und Holzpfeifen, Schafsleder naturgegerbt (von ca. 25 Schafen!) für die Dichtungen, Pfeifen aus Orgelmetall (Legierung aus Zinn, Blei und anderen Metallen), Messing für die Zungenstimmen, Kleinteile und Winkel,
Ebenholz für Registerzüge, Ochsenknochen und Ebenholz als Tastaturbelag,
zwei Keilbälge a 8‘ x 4‘ (1 Fuß = 1‘ = ca. 30 cm), auf Holzkonstruktion im Heizungskeller montiert, Gewicht ca. 600 kg, für den „atmenden Wind“,
zwei Manuale (50 Tasten, C bis d‘‘‘) und Pedal (25 Tasten, C bis d‘)
Tremulant, Koppel Ped an HW, Schiebekoppel BW an HW
größte Pfeife (klingender Teil): ca. 2,40 m, kleinste Pfeife ca. 1 cm, Gesamtzahl: ca. 1.000 Pfeifen, Kosten: ca. 500.000,- Euro
Disposition:
HW | BW | PED |
---|---|---|
Bordun 16´ | Holzgedackt 8´ | Subbaß 16´(z. T. kombiniert) |
Praestant 8´ | Principal 4´(ab c) | Octavbaß 8´(z. T. kombiniert) |
Hohlflöte 8´ | Rohrflöte 4´ | Gedackt 8´ |
Octave 4´ | Octave 2´ | Octave 4´ |
Quinte 3´ | Nassat 1 1/2´ | Fagott 16´ |
Octave 2´ | Sesquialtera II (rep.) | |
Mixtur IV | Dulcian 8´ | |
Trompete 8´ |
20 Register, a‘ = 463 Hz bei 18° C (1/2 Ton über a‘ = 440 Hz)
Stimmung: 5 Quinten über C ¼ Komma zu eng, dadurch reine Terzen C / E und G / H, eine überschwebende Quinte Gis / Dis, nach hist. Vorbildern
Weitere Orgeln / Restaurierungsarbeiten der Firma Edskes stehen in Brasilien, Japan, Schweiz, Niederlande, Österreich, etc.
In Deutschland existieren Edskes-Orgeln in Niedersachsen (Aurich, Melle, Hardegsen) und Bayern (Mittenwald, Regensburg)
Bereits vor Beginn der Renovierungsarbeiten an der Stiftskirche wurde 2009 über die Orgelsituation nachgedacht. Die alte Hauptorgel auf der Westempore musste abgebaut werden. Eine Wiederaufstellung wurde auch wegen mangelnder handwerklicher Qualität von Fachleuten als unwirtschaftlich eingestuft.
In der Stiftskirche wurde schon unter KMD Ulrich Loschky und wird auch jetzt viel Alte Musik aufgeführt, die einen wesentlichen Bestandteil des Kulturguts der protestantischen (und katholischen) Kirchenmusik umfasst. Auch waren die Finanzen der Gemeinde nach der großen Renovierung der Stiftskirche weitgehend erschöpft. Daher wurde meine Idee, zunächst eine Chororgel für Alte Musik und später eine symphonische Hauptorgel für die Stiftskirche zu bauen, vom Presbyterium als nachhaltige Lösung sehr begrüßt und einstimmig beschlossen. Eine Odyssee von Orgelbesichtigungen, die ich gemeinsam mit Gero Kaleschke, unserem Orgelbausachverständigen, in halb Europa unternommen habe, führte zu der Erkenntnis, dass nur eine Handvoll Orgelbauer in der Lage sein würden, die von uns gewünschte Qualität zu bauen. Nach sorgfältiger Prüfung der Angebote wurde die Firma Edskes beauftragt, verbunden mit einer Lieferzeit bis Ostern 2016.
1516, also vor genau 500 Jahren, wurde in der Stiftskirche eine neue Orgel eingeweiht durch den damaligen Heidelberger Hoforganisten Arnolt Schlick, der 1511 mit dem „Spiegel der Orgelmacher und Organisten“ das erste Handbuch des Orgelbaus überhaupt verfasst hat. Das Besondere an unserer neuen Orgel ist die kompromisslose Orientierung an der Bauweise früherer Zeiten, wie sie zu finden ist bei den großen Meistern Arp Schnitger in Hamburg oder Gottfried Silbermann in Sachsen. Dadurch wird die Darstellung der vielfältigen Affekte der Musik der Gotik, der Renaissance und des Barock ermöglicht. Sie ist immer klanglich orientiert am Ideal der menschlichen Stimme. Somit ist unsere Orgel ein lebendiges Musikinstrument, keine tote Maschine. Die besondere Stimmung der Orgel ermöglicht die Darstellung der Literatur aus Renaissance und Frühbarock (mit reinen Terzen) ebenso, wie spätbarocke Werke in entfernteren Tonarten (z.B. Bach und Buxtehude) und ist ideal für das Musizieren mit Stimmen und historischen Instrumenten.
Zu dieser Zeit, im 17. Jahrhundert wurde die Orgelbegleitung zum Gemeindegesang eingeführt. Und gerade für diese wesentliche Aufgabe ist unsere Orgel aufgrund ihrer besonderen Stimmung bestens gerüstet .
Text: Bezirkskantor Simon Reichert
Foto: Armin Huck