Die Jahreslosung 2022
Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.
Johannes 6,37 (E)
Ein frommer Mann floh während einer Sturmflut auf das Dach seines Hauses und betete zu Gott um Rettung. Da kam ein Schiff und bot ihm Hilfe an. „Nein“, sagte der Mann, „ich warte darauf, dass Gott mich rettet.“
Ein paar Minuten später flog ein Hubschrauber über ihm und der Pilot rief ihm zu: „Halten Sie sich an dem Seil fest.“ „Nein“, rief der Mann zurück, „ich warte darauf, dass Gott mich rettet.“
Kurz darauf tauchte ein U-Boot vor ihm auf und die Luke öffnete sich. „Schwimmen Sie hierhin, dann können wir Sie hereinziehen“, schrie der Kommandant. „Nein“, brüllte der Mann zurück, „ich warte darauf, dass Gott mich rettet.“
Schließlich, als keine Hilfe mehr in Sicht war, schaute der Mann zum Himmel und fragte: „Lieber Gott, warum rettest du mich nicht?“ Und eine Stimme aus den Wolken antwortete: „Ich habe dir einen Hubschrauber, ein Schiff und ein U-Boot gesandt. Der Rest, mein Sohn, lag an dir!“ (überliefert)
Ein bisschen erinnert mich das an die zurückliegenden Monate. Seit ich zurückdenken kann war „Rettung“ kein gesamtgesellschaftliches Thema. Wie schwer haben wir uns 2017 im Reformationsjubiläum als Kirche damit getan, das zentrale Anliegen Martin Luthers ins Heute zu übersetzen.
Und dann taucht Corona auf. Auf der ganzen Welt stehen Politik und Wissenschaft einem unsichtbaren tödlichen Virus hilflos gegenüber. Türen werden geschlossen. Menschen verbarrikadieren sich zu Hause. Lockdown für alle. Selbst Kranke und Alte dürfen nicht mehr besucht werden. Eine Katastrophe und Bankrotterklärung für ein moderne hochtechnisierte Gesellschaft.
Und plötzlich ist es da, das Thema Rettung. Woher kommt mir Hilfe? Ab Mai 2020 werden wieder Gottesdienste möglich. Wir spüren das Bedürfnis, Gemeinschaft zu erfahren und Gott nahe zu sein. Corona hat die Prioritäten verschoben. Der eigene Tod ist unabhängig vom Alter nicht mehr unwahrscheinlich. „Lehre mich bedenken, dass ich sterben muss“, weiß die Bibel seit alters her.
In Windeseile werden Impfstoffe auf Grundlage jahrelanger Forschung entwickelt und bereitgestellt. Die Erkenntnisse über die Infektionswege werden immer präziser. Wir können wieder freier leben, wenn wir den Rettungsring ergreifen – uns und andere schützen. Gewiss, hundertprozentige Sicherheit gibt es nie. Und es stimmt auch, dass Gesundheit nicht der einzige und sicherlich nicht der wichtigste Wert des Lebens ist. Dennoch verhalten sich noch immer viele wie der Mann auf dem Dach. Und ich frage mich, welche Art der Rettung soll uns Gott den noch schicken?
Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. Dem anderen zum Christus werden. So könnte man Martin Luthers diakonisches Profil beschreiben. Dem Bettler auf der Straße oder der Obdachlosen in der S-Bahn soll und kann ich zum Christus werden.
Darum weiß ich nie, wo und wie mir Christus in meinem Leben begegnet. Ist es mein Hausarzt, der mir unkompliziert zu meiner Impfung verhilft oder die Seelsorgerin, die mich im Krankenhaus besucht; der Intensivmediziner, der mir in letzter Minute das Leben rettet …
Gott lässt mich im Elend nicht allein. Darauf vertraue ich. An ihn wende ich mich in meiner Not. Und dann nehme ich jede Hilfe an, die er mir schickt, Denn ich weiß, er wird mich nicht abweisen.
Andreas Rummel, Dekan